Abnehmen? Wirf deine Diät ganz schnell über Bord.
Von Paleo über Bandwurm bis zu kohlenhydratarm: Wir stürzen uns voll Begeisterung von einer Diät in die andere. Das Schönheitsideal, schön schlank und fit zu sein, kommt nicht von ungefähr. Die Menschen waren davon schon immer wie besessen. Ist es aber nicht langsam an der Zeit, all den durchgestylten Werbespots voll durchtrainierter Körper den Laufpass zu geben?
Letzten Sommer saß meine 8-jährige Tochter etwas niedergeschlagen am Ufer des Flusses, der an unserem Campingplatz vorbeiströmte. Ich sprach sie daraufhin an und nach ein bisschen hin und her, eröffnete sie mir, dass ihre Beine zu dick wären und dass es auf dem Campingplatz Mädchen mit viel dünneren Beinen gäbe.
In mir kam schlagartig die Erinnerung an eine nach Schweiß müffelnde Turnhalle auf, in der ich 1988 mit meinen Freundinnen kritisch unsere Beine studiert hatte. Damals war ich die 8-Jährige, die dachte unheimlich dick zu sein. Dass ich mir damals, in so jungen Jahren, darüber schon Gedanken machte, fand ich später ganz logisch. Schließlich wurden wir von allen Seiten mit Bildern ‘perfekter’ Körper überspült. Die etwas molligeren Körper waren in den Eighties in keiner Reklame zu finden. Body Positivity? Gab es nicht. Zu jener Zeit wurde jedes Bonbon mit der Warnung versehen, dass es ‘auf den Rippen landen würde’. Dicke Menschen wurden von den Medien schamlos ins Lächerliche gezogen.
Kein Wunder, dass ich schon immer ein etwas schwieriges Verhältnis zu Essen hatte; wie so viele andere Frauen auch. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass sich auch heute noch eine 8-Jährige über den Umfang ihrer Beine Gedanken machen würde oder über das winzige Stückchen Bauchfett, das sie zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmen kann.
Jahrhunderte lange Diätkultur
Ich hätte es mir aber eigentlich denken können. Unser Jahrhunderte alter Schönheitskult lässt sich nicht mit ein paar Jahren Body Positivity einfach ausradieren. Er sitzt tief in uns verankert. Schon bei den alten Griechen galten strenge Ideale in Sachen Körperproportionen. Auf dicke Menschen wurde herabgesehen, denn sie galten als psychisch schwach.
Und obwohl sich die Mode veränderte, und es auch Ausnahmen in andere Richtungen gab – man denke nur an die mollige Rubens-Frau -, überlebten die Vorurteile, die dem Übergewicht anhängen, die Zeit. Wer übergewichtig war, galt als faul, schwach, dumm und unzuverlässig.
Bandwürmer und Essig
All diese Vorurteile brachten die Diätkultur auf den Weg. Sie entstand in der Renaissance mit dem allerersten Diätbuch des Italieners Luigi Cornaro, der sich selbst auf eine Diät von höchstens 400g Nahrung und einem halben Liter Wein pro Tag setzte und auch andere Menschen dazu ermutigte, seinem Beispiel zu folgen. Im Jahr 1863 verfasste dann ein britischer Leichenbeschauer ein Pamphlet, das die Basis für viele spätere Diätmethoden formen sollte: kein Bier, Butter, Zucker und Stärke.
In den darauffolgenden Jahrzehnten nahmen die Diäten immer groteskere Formen an. Genau wie die Art und Weise, wie sie an den Mann – oder eher die Frau – gebracht wurden. Es gibt kaum etwas Erniedrigenderes als eine Vintage-Reklame, mit der Frauen dazu aufgerufen werden, Essig zu trinken und einen Bandwurm zu nehmen, um auf diese Weise ihre ‘schlanke Figur’ zu erhalten und den Männern zu behagen. Oder wie wäre es mit der Zigarettenmarke Lucky Strike, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine bizarre Reklame in die Welt setzte. Die Zigarettenmarke wollte erreichen, dass auch Frauen mit dem Rauchen anfangen, und riet deshalb den Damen, lieber eine Zigarette zu rauchen, wenn sie Hunger verspürten: ‘to keep a slender figure’.
Booming Business
Ab den 70er Jahren schossen Abnehmclubs wie Pilze aus dem Boden und eroberte eine Diät nach der anderen den Markt. Von der Atkins-Diät, bei der man so viel Fett essen darf, wie man will, solange man nur die Finger von den teuflischen Kohlenhydraten lässt, bis zur Montignac-Diät, dem Saftfasten oder der Paleo-Diät. Die Diätindustrie mauserte sich zum Booming Business, mit dem auch heute noch Milliarden von Euros verdient wird.
Und die Diätgurus wissen ganz genau, wie sie auch weiterhin die Milliarden scheffeln können. Die Menschen fürchten sich zu Tode davor, dick zu werden, denn alle streben einen schlanken, durchtrainierten und sogenannt perfekten Körper an, wie er uns auf den Werbeplakaten entgegenstrahlt. Gleichzeitig leben wir aber in einer Welt, in der die Verführung an jeder Straßenecke lauert, in der wir hauptsächlich sitzend den Tag verbringen und deshalb das Gleichgewicht zwischen Bewegung und essen nicht mehr stimmt.
Die Diäten versprechen uns immer das Gleiche: Dass wir schlank werden und es auch bleiben. Und dass wir es selbst in der Hand haben, ob wir schlank sind oder nicht; solange wir nur ihre Produkte kaufen.
Wirken Diäten? Natürlich nicht!
Bei all den tollen Reklamen sollte man es kaum für möglich halten, aber all diese wunderbaren Diäten wirken eigentlich kein Bisschen. Die allermeisten Menschen, die mit Hilfe einer Diät abnehmen, haben das verlorene Gewicht nach spätestens 2 bis 5 Jahren wieder zurück auf den Rippen.
Dabei spielt es kaum eine Rolle, welche Diät sie verwendet haben, egal ob Kalorien zählen, bestimmte Lebensmittelsorten weglassen oder Kohlenhydrate oder Fett einschränken. Meistens nimmt man zuerst ab und anschließend schleichen sich die Kilos wieder eins nach dem anderen zurück, bis man wieder genauso viel wiegt wie zuvor oder vielleicht sogar mehr.
Überlebensmodus
Wodurch das kommt? Die Forschung gibt hierfür unterschiedliche Gründe an, von der genetischen Veranlagung bis zu der Art und Weise, wie unser Körper darauf reagiert, wenn wir ihm auf einmal das Essen verweigern. Unser Körper ist nun einmal dazu entworfen, unser Überleben zu sichern. Wenn man dann z.B. Brot, Pasta und Kartoffeln vom Speisezettel streicht, erhält der Körper das Signal, dass er zu verhungern droht und schaltet sich selbst in den Überlebensmodus. In diesem Modus versucht er mit aller Macht Kalorien und Fett zu speichern, weil er denkt, dass eine Hungersnot ausgebrochen ist.
Das Ergebnis ist ein fast unbezwingbares Verlangen nach kalorienreicher Nahrung, ein vollkommen gestörter Metabolismus und ein Körper, der beim Essen keine Signale mehr bekommt, dass er gesättigt ist. So eine Crash-Diät kann man natürlich eine Weile durchhalten. Auf Dauer wird sich der Körper aber seiner Nährstoffe beraubt fühlen. Dann treten die Cravings auf. Man gibt sich den ungesunden Verführungen hin und endet mit Chipstüten, Schokoriegeln und Unmengen an Pommes während einer Bingeparty auf dem Sofa.
McDonalds an jeder Straßenecke
Nachdem du dann die letzten Krümel aus der Chipstüte gefischt hast, fühlst du dich natürlich unheimlich schuldig und würdest am liebsten deinen Schädel gegen den Spiegel rammen, wenn du wieder die Zahlen auf deiner Waage ansteigen siehst. Ganz logisch, in so einer Kultur, die einem ständig einredet, dass man schwach ist, wenn man den Verführungen nicht widerstehen kann, die einen umgeben. Eine Kultur, die die ganze Schuld dem Individuum zuschreibt, ohne dabei die riesigen Chipstüten, unzähligen Schokoriegel in den Supermärkten und die McDonalds-Filialen an jeder Straßenecke zu berücksichtigen. Wenn du die Willenskraft besessen hättest, weniger zu essen, wärst du schließlich schlank.
Also stürzt man sich sofort in die nächste Diät. Denn dieses Mal wird es einem bestimmt gelingen. Ganz sicher. Inzwischen gibt es aber nur einen Beteiligten bei diesem Spiel, den der endlose Zyklus des Abnehmens und wieder Zunehmens immer reicher werden lässt. Jemand, der das Gedankengut am Leben erhält, dass jeder schlank sein kann, wenn er oder sie sich nur genügend Mühe gibt. Was aber, wenn dieses Versprechen tatsächlich war wäre? Dann würde die gesamte Diätindustrie in No-Time pleite sein und würden wir alle in einer Welt voll schlanker Menschen leben.
Dem ist aber nicht so, und das ganze Muster von Abnehmen und wieder Zunehmen ist nicht nur frustrierend, sondern zudem auch äußerst ungesund. Es ist sogar schlechter für die Gesundheit, als konstant leicht übergewichtig zu sein. Eine Studie aus Melbourne konnte zeigen, dass 50 Menschen mit Übergewicht und Obesitas noch ein ganzes Jahr mit Hormonschwankungen kämpften, nachdem sie auf eine Crash-Diät gesetzt worden waren. Die Hormonschwankungen steigerten ihr Hungergefühl, was schließlich dazu führte, dass sie die Diät nicht durchhielten und wieder Gewicht zulegten, bis sie sogar schwerer waren als vor der Diät. Der berüchtigte Jo-Jo-Effekt, also.
Thunder Thigs oder Thigh Gap… Who Cares?!
Diäten sind übrigens nicht nur schlecht für den Körper, sondern auch für die Psyche und das Selbstbild. Darum wehren sich auch immer mehr Frauen dagegen. Sie sind es satt, sich für ihren Körper schämen zu müssen und schreien es von den Dächern, wie stolz sie auf ihren Körper sind. Mollig, dick oder obees? Völlig Egal. Sie verlangen, so akzeptiert zu werden, wie sie sind.
Sie wollen der Welt zeigen, dass auch dicke Frauen schön sein können. Dass sie sich selbst mögen dürfen und dass sie ein Daseinsrecht besitzen. Damit junge Mädchen und andere Frauen auch ein anderes Rolmodel kennenlernen können als immer nur die gleichen dünnen, weißen Standard-Fotomodels auf den Covers und den Catwalks. Sie wollen auch gesehen werden, und zu Recht. Denn eine Bildkultur, die einen Teil der Gesellschaft ausschließt und unsichtbar macht, schadet den Menschen, die sich in ihr nicht repräsentiert fühlen.
Darum fordern diese Frauen die eingeschliffenen Schönheitsideale heraus, bauen an positiven Selbstbildern und streben an, dass jeder voll Selbstvertrauen durchs Leben gehen kann. Thunder Thighs oder Thigh Gap… Who Cares?! Es geht nur darum, dass dich deine Beine von A nach B bringen. Ihre Form sollte nicht Diskussionsthema sein und schon gar nicht dein Selbstwertgefühl untergraben dürfen. Jeder Körper hat seine Daseinsberechtigung. So lautet die Botschaft der Body-Positivity-Bewegung.
Grobe Witze muss man nicht schlucken
Was ist aber mit der Gesundheit, werden jetzt die Kritiker rufen. Man kann doch nicht leugnen, dass Obesitas der Gesundheit schadet? Das stimmt. Weltweit leiden sogar mehr Menschen an Übergewicht als an Hunger. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen mit Übergewicht einfach ausgeblendet werden dürfen. Dass man sie ausschließen darf, grobe Witze reißen oder besserwisserische Bemerkungen abgeben darf, dass sie es sich selbst zu verdanken hätten und all dies deswegen eben schlucken müssten.
Es geht darum, dass jeder sich selbst mögen darf, auch wenn wir in einer vollkommen überspannten Gesellschaft leben, die besessen ist von perfekten, fitten Körpern und einen gleichzeitig mit Junkfood, Smartphones und Netflix verführt. Übergewicht ist auch nicht die einzige Gefahr für die Gesundheit. Auch Stress und ein schwaches Selbstwertgefühl sind dies. Und wenn es etwas gibt, das Stress auslöst, dann zweifellos die bekannten Vorurteile und Stigmata. Und was machen gestresste Menschen? Eben, sie greifen zu Snacks, um ihre negativen Emotionen zu ersticken. Welch Ironie, dass man durch Fatshaming noch mehr isst, aber so geht das nun einmal.
Darum ist es oft besser, seinen Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Sich selbst nicht dafür zu schämen und nicht mehr zu versuchen, sich in ein One-Size-Fits-All Top zu quetschen. Abzunehmen ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn man von einer Diät zu anderen wechselt. Darum sollte man zuerst dafür sorgen, dass man sich wohl fühlt in der eigenen Haut, egal wie viele Pölsterchen sich darunter befinden.
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