Frauenrechte sind Menschenrechte? Nicht wenn es um Abtreibung geht.
Das Abtreibungsrecht steht unter Druck. Nicht nur in den USA, wo der Oberste Gerichtshof das landesweite Recht auf Abtreibung gerade gekippt hat, sondern auch in vielen europäischen Ländern wird der Ruf konservativer Gruppierungen zum ‘Schutz des Lebens’ immer lauter. Frauenrechte sind Menschenrechte? Manchmal scheinbar nicht.
Das Prinzip, dass du Herrin über deinen eigenen Bauch bist, wackelt immer stärker. In Polen wurde die Gesetzgebung zur Abtreibung immer weiter verschärft; momentan darf man dort nur noch abtreiben, wenn man vergewaltigt wurde oder durch die Schwangerschaft Lebensgefahr besteht. Das Letzteres aber nicht immer wirklich auch umgesetzt wird, zeigt der Fall einer 30-jährigen Frau, die dazu gezwungen wurde, ihre Zwillinge auszutragen, obwohl bei den Kindern schwere Schädigungen festgestellt wurden. In der 22. Schwangerschaftswoche starb eines der Kinder im Bauch, was bei der Mutter auf dem Weg ins Krankenhaus zu einem fatalen Herzanfall führte.
Spezielle Nummer zum Denunzieren
Auch in anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Ungarn werden die entsprechenden Gesetze verschärft, und auch fortschrittliche Länder wie Deutschland sind oft nicht so fortschrittlich, wie man denken sollte. In Deutschland fällt Abtreibung noch immer unter das Strafrecht, ist aber unter bestimmten Umständen bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt. Es gibt aber immer weniger Ärzte, die den Eingriff auch wirklich durchführen wollen, auch aus dem Grund, weil es deutschen Ärzten lange Zeit verboten war bekanntzugeben, dass sie entsprechende Eingriffe durchführen. Wenn sie es dennoch taten, machten sie sich strafbar und riskierten hohe Geldbußen. Interessanterweise durften sich die Ärzte durchaus öffentlich gegen Abtreibung aussprechen. Erst am 24. Juni 2022 wurde der Abtreibungsparagraph endlich aus dem Gesetzbuch gestrichen; ironischerweise genau am gleichen Tag, als in den USA der Präzedenzfall ‘Roe gegen Wade’ gekippt wurde.
In den USA wird übrigens schon längere Zeit an den Frauenrechten gesägt. Zum Beispiel machte Texas letztes Jahr mit einem neuen Abtreibungsrecht auf unrühmliche Weise Schlagzeilen, das es Frauen so gut wie unmöglich macht, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dort ist eine Abtreibung nun schon ab der 6. Schwangerschaftswoche strafbar, also zu einem Zeitpunkt, dass Frauen überhaupt gerade erst entdecken, dass sie schwanger sind. Zudem wurde eine spezielle Meldestelle eingerichtet, bei der man Frauen, die eine Abtreibung vorgenommen haben – und alle, die ihnen dabei geholfen haben -, denunzieren und dafür auch noch 10.000 Dollar einsacken kann!
Abschaffung des landesweiten Rechts auf Abtreibung, die USA drehen die Zeit zurück.
Ein bizarres Gesetz, das sich aber leider als bitterer Vorgeschmack dessen herausgestellt hat, was Frauen in allen republikanisch regierten Bundesstaaten erwartet. Der amerikanische Oberste Gerichtshof hat soeben das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt. Das bedeutet, dass jeder Bundesstaat ab jetzt selbst entscheiden darf, wie Abtreibungen geregelt werden. In den von den Demokraten regierten Bundesstaaten dürfte sich wenig verändern, in den über 20 republikanischen Staaten dagegen ist es durchaus denkbar, dass Abtreibungen komplett verboten werden.
Diese Nachrichten haben zahlreiche Befürworter des Abtreibungsrechts auf den Plan gerufen, sowohl in den USA als auch im Ausland. Die Anti-Abtreibungslobby in den USA ist groß, und in vielen europäischen Ländern wächst deshalb die Sorge, dass sich die Tentakel dieser Lobby auch in andere Länder ausbreiten könnten, um auch dort die Politik und Stimmung entsprechend zu beeinflussen.
Herrin über den eigenen Bauch
Auch in Europa haben die Schlagzeilen aus den USA Spuren hinterlassen. In mehreren Ländern fanden Demonstrationen statt, wie zum Beispiel am 7. Mai in Amsterdam, wo Hunderte Menschen auf die Straße gingen, um gegen diese Entwicklungen in den USA zu demonstrieren und ihre Solidarität mit den amerikanischen Frauen zu zeigen. Für diese Menschen war es unvorstellbar, dass das Recht auf Abtreibung, für das so lange und so hart gekämpft worden war, nun auf einmal wieder zur Disposition stand. Für sehr viele Amerikanerinnen ist dies nun bittere Realität geworden.
Die Niederlande sind eines der fortschrittlichsten Länder bezüglich Abtreibung. Jedes Jahr entscheiden sich dort 30.000 Frauen für den Eingriff, der in sicheren, legalen Kliniken durchgeführt wird. Aber auch dort musste dafür zuerst gekämpft werden. In den 70er Jahren ging vor allem die feministische Frauengruppierung ‘Dolle Mina’s’ auf die Barrikaden. Ihr Kredo lautete: ‘Baas in eigen buik’, zu Deutsch: ‘Herrin über den eigenen Bauch’. Und ihr Kampf für ein besseres Selbstbestimmungsrecht war erfolgreich. Nach vielen Demonstrationen und Besetzungen von Kliniken trat im Jahr 1984 das Gesetz in Kraft, das festlegte, dass Frauen eine Schwangerschaft legal beenden lassen konnten.
Das bedeutet, dass Frauen in den Niederlanden bis zur 24. Schwangerschaftswoche eine Abtreibung durchführen lassen können und danach nur noch, wenn ernste medizinische Gründe vorliegen. In der Praxis werden aber 84% aller entsprechenden Eingriffe bis zur 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt, von denen wiederum 59% in den ersten acht Wochen per Kürettage stattfinden, also nicht über eine sehr eingreifende instrumentale Abtreibung.
Pufferzone und Abtreibungsbuddys
Alles gut geregelt, könnte man denken. Und das ist auch so. Aber auch in den Niederlanden fällt Abtreibung noch immer unter das Strafrecht und bisher konnte sie noch nicht daraus entfernt werden. Warum? Weil in den Niederlanden bestimmte christliche Parteien sich schon immer dagegen wehren und diese Parteien auch immer Teil der regierenden Koalition ausmachen. Somit ist Abtreibung nur unter bestimmten Voraussetzungen legal und ist deshalb – auch in den Niederlanden – im Prinzip nach wie vor eine Straftat.
Die Vorstellung, dass Abtreibung eine Straftat wäre, verbreitet sich leider sowieso immer mehr. Schon seit Jahren werden Frauen vor Abtreibungskliniken von religiösen Abtreibungsgegnern belästigt. Sie werden belästigt, des Mordes bezichtigt und mit Geschichten über psychologische Schäden, die sie bekommen würden, eingeschüchtert. Ihnen werden verfälschte Fotos von Puppen und Föten in die Hände gedrückt, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem sie am verletzlichsten sind. In manchen Fällen ist es so schlimm, dass Pufferzonen eingerichtet werden müssen oder ‘Abtreibungsbuddys’ zum Einsatz kommen, die Frauen einen sicheren Zugang zu den Kliniken ermöglichen.
Auch in liberalen Ländern wie den Niederlanden wird die Anti-Abtreibungslobby immer stärker. So gibt es zum Beispiel die Stiftung ‘Schreeuw om Leven’ (zu Deutsch: Schrei um Leben), die jedes Jahr einen ‘Marsch für das Leben’ organisiert und systematisch Falschinformationen über Abtreibung verbreitet. Es gibt auch einen christlichen Council, der enge Verbindungen zur Anti-Abtreibungsbewegung in den USA unterhält. Und auch die christlichen Parteien sollte man nicht vergessen, wie zum Beispiel die SGP oder CU, die sich strikt gegen Abtreibung aussprechen. Es existiert sogar eine ‘Pro Life Krankenversicherung’, die Abtreibungen nicht vergütet.
Übertrieben sorgsam
Natürlich gibt es genügend Gründe für die Annahme, dass es in Ländern wie den Niederlanden nicht so schnell aus der Hand laufen wird wie in den USA. Während in den USA auf unterschiedlichste Weise versucht wird, das Selbstbestimmungsrecht zu untergraben, gibt es aus den Niederlanden auch genug Positives zu berichten.
So wurde zum Beispiel die verpflichtete 5-Tage-Regel abgeschafft, die besagte, dass man zuerst noch einmal fünf Tage über seine Entscheidung nachdenken musste, wenn man sich bei einer niederländischen Abtreibungsklinik meldete. Ein ziemlich unnützes und über-sorgsames System. Nicht nur deshalb, weil Frauen durchaus in der Lage sind, eine gründlich durchdachte Entscheidung zu treffen, sondern auch deswegen, weil diese fünf Tage oft den Unterschied zwischen einer Kürettage oder einer wesentlich eingreifenderen instrumentalen Abtreibung bedeuten können.
Das sah auch die 2. Kammer des Parlaments so, woraufhin die 5-Tage-Regel abgeschafft wurde. Hausärzte dürfen Frauen auch Schwangerschaftsabbruchpillen verschreiben, falls diese sie benötigen. Dadurch müssen die Frauen nicht erst zu einer Abtreibungsklinik fahren, wodurch auch ein früherer Abbruch ermöglicht wird.
Alles ziemlich weit weg? Nein.
Also auch durchaus positive Entwicklungen. Trotzdem sollte man immer auf der Hut sein, wenn irgendwo auf der Welt an Frauenrechten gesägt wird. Auch wenn all das weit weg zu sein scheint – das ist es nicht. Die Situation in den USA kann auch die fanatische Anti-Abtreibungslobby anderer westlicher Länder anstacheln und wiederbeleben. Zudem könnte die amerikanische Lobby ihr Geld in die europäische Lobby stecken und auf diesem Wege noch mehr Einfluss erlangen..
Es wäre also ziemlich naiv zu denken, dass der Kampf um die Frauenrechte bereits gestritten ist. Dass Abtreibung noch immer im Strafrecht verankert ist, zeigt schließlich sehr gut, wie wir als Gesellschaft das Thema noch immer sehen. Sich für eine Abtreibung zu entscheiden, ist aber kein Verbrechen, und Ärzte, die Frauen dabei helfen, sind keine Kriminellen. Sie stellen lediglich sicher, dass sich Frauen in ihrer Verzweiflung nicht irgendwelcher lebensgefährlicher illegaler Abtreibungsmethoden wie Bleichmittel, Kleiderbügel oder dubiosen Pillen bedienen müssen.
Illusion
Weltweit enden 60% aller unerwünschten Schwangerschaften mit einer Abtreibung, und wer denkt, diese Zahl würde sich ändern, wenn man Abtreibungen verbietet, erliegt einer Illusion. Ganz im Gegenteil sogar: In Ländern, in denen Abtreibungen verboten sind und man nur schwer an Verhütungsmittel kommt, finden die meisten Abtreibungen statt. Und zwar nicht in hygienischen Kliniken, sondern auf verdreckten Küchentischen irgendwo bei undurchsichtigen Personen.
Abtreibung ist ein Menschenrecht. Und deshalb wäre es nur mehr als rechtens, wenn Abtreibung und alles drumherum Teil des regulären Pflegesystem und das Recht auf Wahlfreiheit im Gesetzbuch unwiderruflich fest verankert werden würde; damit nicht mehr irgendwelche Fanatiker daran sägen können, die selbst nie mit den Konsequenzen einer unerwünschten Schwangerschaft leben müssen. Warum nicht? Weil es sich bei diesen Aktivisten überwiegend um Männer handelt.
Unverantwortlicher Samenerguss
Wenn man Abtreibungen verhindern will, sollte man unerwünschte Schwangerschaften verhindern, schreibt Gabrielle Blair, eine mormonische Autorin, die mit einem Tweet über Abtreibung viral ging. Sie selbst hat sechs Kinder, findet es aber gestört, dass Frauen dazu gezwungen werden, unerwünschte Schwangerschaften austragen zu müssen.
Männer? Die haben ihrer Meinung nach immer einen großen Mund, wenn es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht, kümmern sich aber nur wenig um den ‘unverantwortlichen Samenerguss’, mit dem sie in wenigen Sekunden das Leben von Frauen auf den Kopf stellen.
Da trifft sie den Nagel auf den Kopf. Niemand unterzieht sich gerne einer Abtreibung, auch wenn man froh ist, dass es diese Möglichkeit gibt. Wenn man aber wirklich gegen Abtreibung ist, sollte man sich lieber um die Ursachen der Schwangerschaft kümmern. Und dann wird man sehr schnell bei dem Mann landen, der seinen Samen ziemlich unbesonnen verbreitet hat. Das wäre also eine Sache, um die sich die Pro Life Aktivisten einmal etwas mehr kümmern sollten.
Antworte oder stelle eine Frage
0 Bemerkungen