Body Positivity: gesund oder ungesund?
Vor zwanzig Jahren gab es auf den Laufstegen nur schlanke Models, heute gibt es dagegen auch immer mehr Models mit einer Größe mehr. Unterschiedliche Modemarken und Ladenketten richten sich mehr und mehr auch an korpulentere Frauen und auch in immer mehr Zeitschriften sieht man nun regelmäßig Plus-Size-Models auf dem Cover. Das ist für das Selbstbild der durchschnittlichen Frau sehr gut – sollte man denken. Es gibt aber auch kritische Gegenstimmen zur Body-Positivity-Bewegung. Sind deren Argumente berechtigt?
Was ist Body Positivity?
Nie mehr auf Diät, nie mehr seufzend vor dem Spiegel stehen und mit den Fingern in die eigenen Fettröllchen kneifen und sich nie mehr schämen, wenn man sich eine Portion Pommes auf der Straße gönnt. Es wird sehr viel über dieses Umarmen seiner selbst und das Akzeptieren seiner Körper geredet.
Body Positivity ist eine Bewegung, die sich in erster Linie für korpulentere Frauen stark macht. Ganz allgemein geht es der Bewegung aber einfach um eine positivere Einstellung gegenüber sich selbst, egal, ob dick oder dünn, schwarz oder weiß, Frau, Mann oder keins von beiden. Diese Bewegung geht also nicht nur für die korpulenteren Frauen auf die Barrikaden, wie die meisten Leute denken.
Schönheit ist ein Konstrukt
Was macht Body Positivity? Sie fordert bestehende Schönheitsideale heraus, möchte ein positiveres Selbstbild erreichen und hat sich zum Ziel gesetzt, dass jeder Mensch mit mehr Selbstvertrauen durchs Leben gehen kann. Einer der Kernpunkte der Bewegung ist, dass Schönheit nur ein Konstrukt der Gesellschaft ist. Und dass dieses Konstrukt das eigene Selbstwertgefühl nicht beeinträchtigen sollte.
”Schönheit ist einzig und allein ein Konstrukt unserer Gesellschaft.”
Man wird als Mensch dazu ermutigt, sich selbst zu mögen und seine persönlichen körperlichen Merkmale zu umarmen. Jeder Körper hat seine Daseinsberechtigung und jeder ist auf seine eigene Weise schön. Darum wird ein Wort wie ‘dick’ bei den Anhängern dieser Bewegung auch nicht als abwertend gesehen. Es gibt eben dicke Menschen, genau wie dünne, kurze und lange. Es geht darum, dass man die Diversität akzeptiert und auch schätzt.
Fanatische Kritiker
Die Akzeptanz von Menschen, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen, ist allerdings alles andere als etabliert. Vor allem dicke Menschen bekommen dies sehr häufig zu spüren, indem sie angestarrt, ausgelacht, ignoriert oder in den Social Media lächerlich gemacht werden.
Dick zu sein ist deine eigene Schuld
Auf der niederländischen Website ‘Dikke Onzin’ (großer Unsinn) weist die Autorin Sam van Eijk auf vier althergebrachte Vorurteile hin, die am meisten zur Stigmatisierung und Isolierung dicker Menschen beitragen. Sie sollen zu viel essen und sich zu wenig bewegen, dick zu sein wäre ihre eigene Schuld, abnehmen ist einfach nur eine Frage der Disziplin und dünne Menschen wären per Definition sowieso gesünder und erfolgreicher.
Dass die Body Positivity viele Kritiker hat, wundert einen dann auch nicht wirklich. Im Internet findet man jede Menge fanatische Kritiker, die behaupten, die Bewegung würde Übergewicht verherrlichen und dicke Menschen dazu anspornen ‘faul und hässlich’ zu sein. Etwas gemäßigtere Stimmen machen sich regelmäßig Sorgen über die Folgen für die Gesundheit, wenn das Dicksein als normal eingestuft wird. Das klingt vielleicht etwas sympathischer, impliziert aber ebenfalls, dass man als dicker oder fülliger Mensch nicht gesund wäre und von einer bestimmten Norm abweicht.
Vorurteile in der Medizin
Nach Meinung der Journalistin Asha ten Broeke sickern diese Vorurteile sogar bis in die medizinische Versorgung durch. In ihrer Kolumne schreibt sie über Ärzte, die nur die Kilos sehen und gesundheitliche Probleme dicker Menschen immer auf ihr Übergewicht reduzieren. Z.B. bei einer Frau mit verborgener Lungenembolie, der man sagte, dass auf ihren Lungen einfach zu viel Gewicht lasten würde. Oder eine Frau mit Hüftbeschwerden, die lernen sollte, mit diesen Beschwerden zu leben, weil sie Obesitas hätte, dabei lag das Problem eigentlich an einem schiefgewachsenen Rückenwirbel.
Wenn sich sogar Ärzte durch Stigmata leiten lassen, wie soll man dann noch ein positives Selbstbild entwickeln können, wenn man dick ist?
Stigmata sind ungesund
Andererseits haben viele Ärzte und Ernährungsexperten diese Stigmata schon seit langem widerlegt. Wie z.B. Liesbeth van Rossum (Internistin-Endocrinologie an der Erasmus Universität) und Mariette Boon (auszubildende Spezialistin für innere Heilkunde am LUMC) in ihrem Buch ‘Vet belangrijk: feiten en fabels over voeding, vetverbranding en verborgen dikmakers’ (Fett wichtig: Fakten und Märchen über Ernährung, Fettverbrennung und versteckte Dickmacher).
Dick wegen eines Apfels
Ihre Arbeit zeigt, dass das Abnehmen um einiges komplizierter ist, als nur gesund zu essen und sich ausreichend zu bewegen. Der Körper produziert etwa 600 Hormone, die alle das Körperfett beeinflussen und bei jedem anders funktionieren. Außerdem wird das eigene Gewicht zu 40 bis 70 Prozent durch die Gene bestimmt. Eine Person kann somit tatsächlich schon wegen eines Apfels dicker werden, während eine andere tütenweise Chips vertilgen kann, ohne auch nur ein Gramm zuzulegen.
”Dein Gewicht wird zu 40 bis 70 Prozent durch deine Gene bestimmt.”
Dann also eine strenge Diät? Nein. Die ganzen Crashdiäten kann man am besten direkt in die Tonne treten. Eine zitierte Studie aus Melbourne konnte zeigen, dass 50 Menschen mit Obesitas oder Übergewicht auch noch ein Jahr nach einer Crashdiät, auf die sie gesetzt worden waren, mit gestörten Hormonspiegeln kämpften. Durch diese hormonellen Veränderungen stieg ihr Hungergefühl an, was letztlich dazu führte, dass sie die Diät nicht durchhielten und wieder an Gewicht zulegten, bis sie sogar noch mehr wogen als vor der Diät. Der wohlbekannte Jo-Jo-Effekt also.
Stress und Fressattacken
Außer der Tatsache, dass solche Vorurteile verletzend sind, können entsprechende Stigmata zudem auch der mentalen und körperlichen Gesundheit erheblich schaden. An der University of California untersuchte Janet Tomiyama, welchen Einfluss ‘Weight Stigma’ auf die Gesundheit der Menschen besitzt. Sie entwickelte dazu eine Studie, bei der die Teilnehmer ein sogenanntes Experiment rund um das Thema Shopping und Psychologie verlassen mussten, weil sie zu dick wären und deshalb nicht in die exklusive Kleidung passten.
Es stellte sich heraus, dass das Cortisolniveau der betreffenden Personen verglichen mit der Kontrollgruppe, die diese Erniedrigung nicht erfuhr, in die Höhe schnellte. Cortisol ist ein Stresshormon, das mit Fressattacken assoziiert wird, um unangenehme Gefühle zu kompensieren. Es verändert bestimmte Verbindungen im Gehirn, wodurch man auf einmal viel mehr Lust auf fettes Essen und Süßes bekommt. Ironischerweise bekommt man also den Drang, unbegrenzt zu naschen, wenn man mit einem negativen Feedback zum eigenen Körpergewicht konfrontiert wird.
Fazit: Manchmal ist es einfach besser, seinen Körper so zu akzeptieren, wie er ist.
Tipps, um sich selbst zu mögen
Das ist natürlich leichter gesagt, als getan. Vor allem in einer Gesellschaft, in der man, ungeachtet der Fortschritte in letzter Zeit, trotzdem noch immer sehr oft mit den Idealbildern rund ums Thema Körper und Gewicht konfrontiert wird.
Möchtest du diese Idealbilder zum Schweigen bringen? Zumindest in deinem Kopf? Dann gibt es einige Dinge, die du ausprobieren kannst.
- Bekämpfe diese Vorurteile mit Selbstakzeptanz und gönne dir selbst ein wundervolles Leben. Sage nicht: ‘Das darf ich erst, wenn ich zehn Kilo abgenommen habe’ und warte nicht damit, das tolle Kleid zu kaufen, bis du es eine Nummer kleiner kaufen kannst. Du verdienst es, voll im Leben zu stehen. Bist du streng zu dir selbst? Weil du dich schämst und Angst hast, dass all die unangenehmen Kommentare irgendwo auf Wahrheit basieren? Dann solltest du daran denken, wie du mit einem Freund oder einem Kind sprechen würdest. Jede Wette, dass du dann auch gegenüber dir selbst etwas milder sein wirst. Dieses Mitgefühl hast du auch absolut verdient.
- Konzentriere dich nicht nur auf deinen Körper, sondern auch auf deinen emotionalen und mentalen Zustand. Du ahnst nicht, wie viel negative Energie entsteht, wenn man ständig mit seinem Gewicht hadert. Und wie diese Besessenheit genau das Gegenteil bewirken wird. Wenn du dich mental stabil fühlst, wirst du zudem auch weniger dazu neigen, dich intuitivem Naschen hinzugeben bzw. emotionalem Essen. Nicht, dass du abnehmen müsstest, aber die meisten Menschen, die ihre Frustrationen und ihren Kummer mit Essen vertreiben, fühlen sich anschließend auch nicht besser.
- Achte vor allem darauf, was du machst und nicht so sehr, wie du aussiehst. Es ist eine Fehlannahme, dass dicke Menschen kein gesundes Leben führen könnten. Isst du abwechslungsreich und gesund? Gehst du regelmäßig spazieren, schwimmen oder radfahren? Und in deinem Kopf geht es dir auch gut? Dann solltest du froh sein, einen Körper zu haben, der genau das tut, was er soll. Arbeite mit dem, was du besitzt und sei für deinen Körper dankbar, welche Form er auch besitzen mag. Du bist schön, so wie du bist.
Der Stigmatisierung schuldig? Lerne umzudenken!
Und jetzt zu den Bodyshamern! Natürlich – Vorurteile sind nur menschlich. Wir tun den ganzen Tag über nichts anderes, als andere konstant in irgendwelche Ecken zu stellen, auf diese Weise machen wir die Welt greifbar. Das machen wir meistens ganz unbewusst. Wenn wir uns aber von Vorurteilen leiten lassen und hierdurch andere mutwillig verletzen oder ausschließen, wird es Zeit, dies zu ändern.
Zeige mehr Verständnis im Leben
Ertappst du dich selbst ab und zu bei dem Gedanken, dass dieser Mann mit Obesitas bestimmt über keinerlei Willenskraft verfügt? Oder dass das dicke Kind in der Schulklasse sicher dümmer als die anderen sein muss? Oder das dein kräftig gebauter Kollege die Geburtstagstorte lieber auslassen sollte?
Schäme dich nicht selbst dafür, denn dies überkommt uns alle immer mal wieder. Wenn wir uns dessen allerdings bewusst werden, können wir auch daran arbeiten. Denn es ist nicht nur für die betreffende Person sehr schmerzhaft, ständig mit diesen Vorurteilen über ihr Äußeres konfrontiert zu werden, auch unserer eigenen mentaler Gesundheit bekommt es wesentlich besser, wenn wir etwas milder, freundlicher und offener anderen gegenüber sind.
Einige Tipps:
- Korrigiere deine Gedanken in dem Moment, in dem sie zu dir durchdringen.
- Lerne umzudenken und versuche negative Gedanken in positive Gedanken zu verändern
- Schätze Menschen so wie sie sind und Versuche das Gute in jedem zu sehen.
Deine Freundin besitzt bestimmt einen Spiegel
Vergiss nicht, dass dein Idealbild nicht unbedingt dem eines anderen entsprechen muss. Wenn du dir bewusst wirst, dass auch andere vielleicht etwas Negatives über dich denken, wird dich diese Erkenntnis ein gutes Stück bescheidener und hoffentlich auch milder werden lassen.
Denke zudem daran, dass du Kritik oder Vorurteile, die vielleicht in dir aufkommen, nicht unbedingt direkt auch aussprechen musst. Wenn du zum Beispiel vermutest, dass deine Freundin einige Kilos zugelegt hat. Was soll’s! Sie hat zu Hause garantiert auch einen Spiegel an der Wand und kann auf deine neugierigen, kritischen Blicke sicherlich verzichten, thank you very much. Es wäre sehr schön, wenn dieser ganze Körperkult verschwinden würde. Wenn wir Menschen nicht mehr mit negativen Begriffen wie ‘fett’ oder ‘dürr’ etikettieren würden, sondern einfach schätzen würden, dass es zahlreiche unterschiedliche Körpertypen auf unserer Welt gibt.
Vielleicht können wir dann endlich den Menschen entdecken, der sich hinter dem Körper versteckt.
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