Q&A mit Sexualtherapeut Umut Özdemir

Umut
Beim Thema Sex lernen wir nie aus. Beate Uhse beantworte ihren Kund*innen Fragen wie „stimmt in unserer Ehe noch alles?“. Heute stehen wir vor ganz neuen Herausforderungen. Hier ein paar Antworten von Sexualtherapeut Umut Özdemir auf Fragen unserer Zeit.

Was bedeutet eigentlich dieses “poly”?

Poly steht in der Regel für „polyamourös“ und bedeutet, dass man parallel in mehr als eine Person verliebt ist. Polygamie meint eine Beziehung zwischen mindestens drei Menschen. Polyamouröse Menschen leben nicht immer polygam, und nicht alle polygamen Menschen identifizieren sich als polyamourös. Das Einverständnis aller Beteiligten ist eine absolute Voraussetzung, dass Polygamie funktioniert. Übrigens sind in einer polygamen Beziehung nicht immer alle miteinander in einer Liebesbeziehung – es gibt auch das sogenannte V-Modell, das heißt eine Person lebt in einer Beziehung mit zwei anderen, aber diese zwei sind nicht untereinander in einer Liebesbeziehung.

(Soft-)BDSM ist seit 50 Shades of Grey in aller Munde. Was genau ist das eigentlich und was macht man da? Und muss ich das jetzt auch machen?

Oh, ja, das stimmt – seit diesem Film kennen viel mehr Menschen die Abkürzung „BDSM“, haben aber gar kein genaues Bild davon. „BDSM“ steht für „Bondage, Discipline, Sadism and Masochism“. Sadismus meint hierbei sexuelle Erregung zu verspüren, wenn man andere Menschen dominiert, sie vielleicht fesselt oder ihnen gar Schmerzen zufügt, z.B. durch Schläge oder mit heißem, flüssigen Kerzenwachs. Masochismus meint, dass man sexuell erregt wird, wenn man diese Dinge erlebt bzw. zugefügt bekommt. Viele Menschen, die BDSM mögen, berichten, dass sie dabei den Kopf abschalten können, sich fallen lassen und einfach nur spüren können – das wird als angenehm empfunden. Manche sind verwirrt im ersten Moment, weil ein Teil von uns Schmerzen ja nicht als angenehm beschreiben würde. Wenn wir aber einerseits sexuell erregt sind, dann finden wir manchmal Dinge gut und angenehm, die wir im Alltag eher nicht machen würden.

Bei BDSM ist aber besonders wichtig, was bei Sexualität allgemein gilt: Einverständnis und Freiwilligkeit von einwilligungsfähigen Menschen ist absolutes Muss! Ich sollte nie jemandem zuliebe etwas mitmachen oder über mich ergehen lassen. Wenn mich das aber reizt oder ich die Fantasie erregend finde, dann sollte man im Vorfeld darüber sprechen, was ok ist und was nicht, idealerweise ein so genanntes „safe word“ absprechen mit dem man zu jedem Zeitpunkt die sexuelle Praktik abbrechen kann und dann ausprobieren, was einem gefällt und was man beim nächsten Mal weglassen würde.

Wieso schreiben jetzt eigentlich alle “she/her” in die Kurzbio und was bedeutet Trans und Nonbinary?

Die Angabe von Personalpronomina ohne dass man danach gefragt wurde, dient vor allem der Gleichberechtigung und Normalisierung, hat also durchaus einen feministischen Ursprung. Die Idee ist nämlich – wie auch beim Feminismus – dass Menschen jeglichen Geschlechts gleich behandelt werden, die gleichen Rechte haben und möglichst niemand benachteiligt oder klein gemacht wird. So wie alle Menschen – ja, auch Männer! – feministisch sein können (ich für meinen Teil bin auch ein feministischer Mann), ist die Grundidee, dass alle Menschen die Pronomen in ihre Kurzbio schreiben, mit denen sie angesprochen werden wollen. Die Idee dahinter ist, dass das hoffentlich zu einer Normalisierung führt, dass trans Menschen (also Menschen, deren Geschlechtsidentität, manchmal als psychologisches Geschlecht beschrieben, nicht dem Eintrag in der Geburtsurkunde bzw. den Genitalien mit denen sie geboren worden sind entspricht) oder Menschen die sich als nonbinary, also keinem Geschlecht zugehörig, identifizieren nicht mehr als „Ausnahmen“ angesehen werden wenn sie sagen: „du denkst vielleicht, wenn du mich siehst, ich sei ein Mann, aber ich identifiziere mich als Frau und deshalb bitte ich darum, dass du ‚sie‘ sagst, wenn du mich meinst“, sondern dass es doch Alltag werden könnte, dass wir alle mitteilen, welche Pronomen wir für uns selbst benutzen. 

Ich hab meine ganze Beziehung lang Orgasmen vorgetäuscht aber irgendwie keine Lust mehr drauf. Wie bringe ich das meinem Gegenüber am schonendsten bei?

Ich denke, dass es von der Beziehung, aber auch der eigenen Persönlichkeit abhängt, wie man die vorgetäuschten Orgasmen berichtet. Man kann das Pflaster entweder schnell abziehen und hat kurz einen intensiven Schmerz oder man kann das Pflaster langsam abziehen und hat weniger Schmerz, dafür dauert der geringere Schmerz aber länger an. Wichtig ist vor allem, dass man versucht der Gegenseite klarzumachen, dass man nicht aus böser Absicht gelogen hat oder dass die Gegenseite nicht schlecht im Bett ist. Oftmals ist die Intention bei vorgetäuschten Orgasmen eine nette: man hat Angst, die andere Person zu verletzen oder zu enttäuschen. Langfristig ist das aber nicht hilfreich – ich hab dann entweder mein Leben lang Sex ohne Orgasmen oder ich kann mich kurz dem unangenehmen Gespräch stellen, die Wahrheit sagen und wir können spielerisch-lustvoll unsere Körper erforschen und schauen, was mich zum Höhepunkt bringt.

Muss ich mich unbedingt selbst lieben und dafür vor allem in so einen komischen Vagina Workshop gehen und mich vor allen ausziehen?

Ich finde, dass mit dem Begriff „Selbstliebe“ Druck einhergeht. Viele Menschen assoziieren damit, dass sie dann alles an sich super und toll und grandios finden müssten und verzweifeln dann erst recht, weil die meisten von uns manche Stellen ihres Körpers oder Facetten ihres Charakters eher unschön finden. Selbstakzeptanz halte ich allerdings für einen sehr, sehr wichtigen Schritt. Also dass man sich selbst okay findet, so wie man ist, anstatt sich fertig zu machen für das ein oder andere Kilogramm oder die fehlenden Zentimeter bis zur vermeintlich perfekten Körpergröße. Selbstakzeptanz kann man über verschiedene Wege erreichen. Einer ist, dass man den eigenen Körper besser kennenlernt und das kann z.B. in einem Vagina-Workshop geschehen. Man kann sich aber auch einfach zu Hause mit einem Handspiegel selbst betrachten und sich zum Beispiel online andere Vulven ansehen. Keine gleicht der anderen. 

Wie geht eigentlich Sexting?

Eigentlich ist Sexting ganz leicht: Man schreibt Nachrichten mit sexuellem Inhalt und/oder verschickt Nacktfotos. Vielen fällt Sexting auch leichter als zum Beispiel Dirty Talk, weil man der anderen Person dabei nicht ins Gesicht schauen muss, man hat Abstand. Das wichtigste ist, dass man keine Nacktfotos von sich mit Gesicht oder anderen eindeutig zuordenbaren Merkmalen wie beispielsweise Tattoos verschickt! Das Internet vergisst nie und egal wie verliebt ich bin, ich kann nicht wissen, wo diese Fotos landen – im schlimmsten Falle werden Daten vom Smartphone geklaut und darunter war vielleicht auch mein Nacktfoto. 

Dipl.-Psych. Umut Özdemir ist Psychotherapeut, Gruppenpsychotherapeut sowie Paar- und Sexualtherapeut und Dozent. Er klärt auf Social Media (@umut_oezdemir) über Sexualpsychologie auf.

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