Sex-Dating: Casual Sex – Ordinär oder die normalste Sache der Welt?
Dating-Apps sind aus unserem Liebesleben kaum noch wegzudenken. Auch für Casual Sex gibt es im Internet jede Menge Dating-Sites und Apps. Trotzdem empfinden wir es immer noch als peinlich, bei Tinder oder einer anderen Matchmakingsite angemeldet zu sein, ganz zu schweigen vom Swipen nach Sex. Ist das Sex-Dating also wirklich etwas Ordinäres und Schäbiges? Oder ist es die normalste Sache der Welt?
Fanatische Swiper
Das Online-Dating erfreut sich großer Beliebtheit. Tinder ist z.B. in 196 Länder aktiv, hat 55 Milliarden Matches produziert und jeden Tag wird 1,4 Milliarden Mal geswipt. Für die meisten Menschen ist das Online-Dating darum auch eine ernsthafte Möglichkeit, andere Menschen kennenzulernen. Und auch wenn ein Tinder-Date (nur) zu einem One-Night-Stand führt, so haben die meisten Menschen dennoch die Möglichkeit einer echten Beziehung im Hinterkopf.
”Auf Tinder wird weltweit 1,4 Milliarden Mal pro Tag geswipt.”
Solche Apps sind zudem ideal, wenn man aufgrund von Coronamaßnahmen an sein zu Hause gefesselt ist. Oder auch, wenn man sowieso nicht so gerne in die Kneipe geht, weil man befürchtet, im echten Leben zurückgewiesen zu werden. Da die Begegnungen über Tinder aber häufig eher flüchtiger Natur sind – und nicht selten direkt im Bett enden -, hat Tinder ein bisschen den Ruf einer Sexapp bekommen. Jedoch zu Unrecht, denn die Mehrheit der fanatischen Swiper gibt an, heimlich doch noch immer auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung zu sein.
Das gelingt aber nicht immer, denn das Swipen hat etwas Süchtigmachendes, wodurch die Leute FOMO-Neigungen entwickeln. Das ist aber eine andere Geschichte. Tatsache bleibt, dass die meisten Menschen – vor allem Frauen – Dating-Apps nicht in erster Linie für Sex nutzen.
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Sexuelle Vorlieben entwickeln sich weiter
Speziell für Singles, Paare oder Untreue, die alle auf der Suche nach schnellem Casual Sex sind, schießen die Sex-Datingsite wie Pilze aus dem Boden. Auf solchen Sites findet man Gleichgesinnte, die einfach mit jemanden ins Bett wollen, ohne ewige Datingprozeduren. Sie wollen nicht erst zusammen ins Kino oder ein romantisches Dinner bei Kerzenschein, sie wollen einfach Sex, direkt und ohne Verpflichtungen. Als Frau hat man auf diesen Sites viel Auswahl, denn die meisten Sitenutzer sind männlich. Da können wir nur sagen: Pick your choice!
Das Ganze ist ein Symptom unserer veränderten sexuellen Moral. Wenn es um die menschliche Sexualität geht, erleben wir gerade eine nie dagewesene Zeit. Amerikanische Forscher kamen zu der Erkenntnis, dass das Alter, in dem man heiratet und Kinder bekommt, immer weiter steigt, während die Pubertät stets schneller von der Periode des Jungerwachsenseins abgelöst wird. In dieser Übergangszeit zwischen Pubertät und Jungerwachsensein bleiben wir oft sehr lange hängen.
Wohin führt das? Körperlich sind wir bereit, jede Menge Babys zu produzieren, mental und sozial gesehen, haben wir allerdings keinerlei Bedürfnis uns festzulegen. Nach Meinung der Forscher ist das der Grund, warum wir immer häufiger auf Sexual Hookups ausweichen, also sexuelle Begegnungen ohne Zwang oder Verpflichtungen, die nichts mit einer traditionellen romantischen Beziehung zu tun haben. Ganze 70% der Untersuchungsteilnehmer, die sexuell aktiv waren, hatte im vergangenen Jahr Casual Sex gehabt. Unter den Männern fühlten sich 82% damit sehr gut, bei den Frauen waren es dagegen nur 57%.
Fazit: Unser sexuelles Script verändert sich. Und unsere sexuellen Vorlieben entwickeln sich weiter.
Casual Sex – Scham und Schuldgefühl
Ein großer Vorteil von Sex-Datingsites ist, dass man keine unangenehme Abfuhr oder ein schwierige Dates über sich ergehen lassen muss. Außerdem muss man bei normalen Datingsites immer eine Gratwanderung zwischen Sex oder kein Sex vollführen, während bei Sex-Datingsites das Ziel ganz klar ist. Ziemlich praktisch also.
Das bedeutet aber nicht, dass Casual Sex keine Nachteile hätte. Unterschiedliche Untersuchungen, die im weiter oben genannten Artikel zusammengeführt wurden, kamen zu dem Ergebnis, dass Frauen öfters negative Gefühle entwickeln, wenn sie einen One-Night-Stand hatten. Als Grund sehen die Forscher den Umstand, dass Frauen schneller emotional werden, auch wenn es sich nur um eine eher oberflächliche Begegnung für unverbindlichen Sex handelt.
Eine solche Begegnung kann darum schnell zu Schamgefühl, Stress und Schuldgefühlen führen, vor allem, wenn sich die Frau im Stillen eine Beziehung erhofft und nicht nur einen Quickie. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass diese negativen Gefühle entstehen, wenn man versucht, seine unterschiedlichen Sehnsüchte zu stillen: Einerseits wollen wir frei sein, Sex haben und auf der anderen Seite wünschen wir uns auch (irgendwann) eine Beziehung.
Spoiler: Das Schlampen-Stigma
Eine weitere Ursache für Schuldgefühle nach unverbindlichem Sex ist das Stigma, das ihm anhaftet. Die Vorstellung, dass man nur innerhalb einer Beziehung Sex hat, ist noch immer fest in unseren Gehirnwindungen verankert; der ganzen sexuellen Revolution zum Trotz. Wenn man mit irgendjemand ins Bett springt, sich dessen nicht schämt und es gleich noch einmal tut, ist man direkt eine ordinäre Schlampe, ganz einfach.
Solche Gedankengänge über Bord zu werfen, fällt schwer. Vielleicht gelingt uns dies gerade noch während des Sex. Dann entdeckt wir, wie befreiend es sein kann, sein Bett mit einem neuen Liebhaber zu teilen. In dieser Hinsicht ermöglicht uns das ungenierte Genießen also, uns selbst immer wieder neu zu erfinden.
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Casual Sex – Selbstvertrauen aufputschen
Im Nachhinein wird man immer mit den Meinungen seiner Umgebung, der Medien und der ganzen Gesellschaft konfrontiert werden. Als Frau ist es scheinbar unmöglich, an Sex einfach Vergnügen zu haben. Wenn man ganz unverbindlich Sex genießt und anschließend unbesorgt die Tür hinter sich zu zieht, kann mit einem etwas nicht stimmen. Vermutlich bist du dann tief in dir drin sehr unsicher und missbrauchst den Sex nur, um dein Selbstvertrauen aufzuputschen.
Solche verkrusteten Vorstellungen über weibliche Sexualität zerstören nicht nur deine sexuelle Freiheit, sondern beschädigen auch deine Selbstwahrnehmung. Dann wundert es einen auch nicht, dass sich die Frauen aus der Studie nach unverbindlichem Sex regelmäßig schuldig fühlten. Die Ursache hierfür ist aber wohl eher nicht in einem unwiderstehlichen Drang der Frau zu suchen, einen Partner über Sex an sich zu binden, wie immer wieder unterstellt wird, sondern viel mehr in der Annahme und den Vorurteilen unserer Gesellschaft, die die weibliche Sexualität nach wie vor als etwas Dienendes sieht.
Sexdaten ist shoppen
Die Moralapostel lassen gerne von sich hören. Wenn man ihren nicht enden wollenden Artikel glauben schenkt, sägen Dating-Apps (und vor allem Sex-Dating-Apps) vehement an den Stuhlbeinen unserer Zivilisation. Das Dating ist zu einer unmenschlichen Form des Online-Shoppings verkommen, bei der Menschen knallhart nach links geswipt und abserviert werden.
Finden wir ein Date, dass uns ‘ganz nett’ erscheint, ist ‘ganz nett’ meist nicht gut genug und wir greifen sofort wieder zum Handy, um uns weiter durch das Angebot nach einem besseren Kandidaten zu scrollen. In einem solchen Szenario sind ehrliche Kontakte und bedeutungsvolle Beziehungen zum Untergang verdammt und wir sind nur noch sexsüchtige Soziopathen, ganz allein, ohne Hoffnung.
Niemals zufrieden
Ein bisschen übertreiben? Ganz bestimmt. Auch wenn es ein naiver Gedanke ist, aber Tausende Jahre Evolution vertreibt man nicht einfach so mit einer vorübergehenden Lösung wie Sexdaten. Das zeigt der Umstand, dass die meisten Menschen tatsächlich die Hoffnung hegen, auf Dating-Apps doch irgendwann den oder die Wahre zu finden. Und solange sie noch nicht fündig geworden sind, suchen sie nach Möglichkeiten, ihre sexuellen Sehnsüchte vorübergehend zu befriedigen. Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich sollten wir auch weiterhin kritisch über uns selbst bleiben. Ich kenne ebenfalls ein männliches Exemplar, das von Sexdate zu Sexdate sprang, nie zufrieden war und immer auf der Suche nach etwas Besserem. Nachdem er aber eineinhalb Jahre lang ruhelos umhergeirrt war, hatte auch er genug davon und entschied sich dafür, seinen Dates endlich ernsthaftere Aufmerksamkeit zu widmen. Und man höre und staune, schon nach wenigen Wochen war er fest liiert. Auch solche Erfolgsgeschichten gibt es zu Tausenden.
An Casual Sex ist nichts Falsches
Obwohl unverbindlicher Sex sicher auch seine Nachteile hat, sollten die meisten dieser Nachteile eigentlich überflüssig sein; sie sagen absolut nichts darüber aus, dass ein Bisschen Freier Sex schlecht für einen wäre. Alles, was sie sagen, ist das, was die Welt über Freien Sex denkt.
Außer den Studien, die auf die negativen Auswirkungen von Casual Sex auf das Gefühl hinweisen, gibt es auch genügend Studien, die zeigen, dass er nur kaum oder gar keinen Einfluss auf das psychologische Wohlbefinden besitzt. Die Menschen werden durch unverbindlichen Sex keineswegs depressiv, ängstlich oder unsicher. Und sie verlieren durch ihn ebenfalls nicht die Fähigkeit, ernsthafte und liebevolle Beziehungen einzugehen.
Sex und Liebe sind eben zwei ganz unterschiedliche Dinge, die sehr gut nebeneinander existieren können. Natürlich ist es wundervoll, Sex innerhalb einer liebevollen Beziehung zu haben, aber auch Sex nur des Sex wegen kann ebenso gut sein. Hierdurch wird unser Grundbedürfnis nach Liebe und Intimität nicht beeinträchtigt.
Solange wir nicht stündlich durch diese Sites scrollen und das Sexdating nicht zur Alltagsroutine wird, ist das Ganze kein Problem. Sex ist nicht das Gleiche wie der tägliche Einkauf, er hat mehr als das verdient; innerhalb einer Beziehung und auch außerhalb.
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