Was ist Slutshaming und wie geht man damit um?

slutshaming

Schlampe, Nutte, Flittchen – Als Frau darf man seine Sexualität nicht zu offen zeigen, sonst wird man sofort mit einer dieser oder ähnlichen Bezeichnungen an den Schandpfahl gestellt. Das Phänomen wird auch als Slutshaming bezeichnet und es wird Zeit, dass sich dies ändert!

Woher stammt das Schlampen-Stigma?

Slutshaming gibt es schon seit Jahrhunderten. Basierend auf den sozialen und kulturellen Verhältnissen einer Gesellschaft, zwingt es Frauen eine Erwartungshaltung auf, was es bedeutet Frau zu sein. Und wenn man dieser nicht entsprach, bekam man im 17. Jahrhundert als untreue Frau ein knallrotes A aufgestempelt und wird heute, im 21. Jahrhundert, als sexuell aktives Mädchen auf Banga-Listen im Internet gesetzt.

Diese auferlegten Gender-Rollen sind leider eine sehr hartnäckige Erscheinung. Männer waren Jahrhunderte lang diejenigen, die für den Lebensunterhalt sorgten, wodurch der Frau automatisch die Rolle der Hausfrau und Mutter zukam. Die zweite feministische Welle beendete diese eingerosteten Strukturen und die mit ihr einhergehende sexuelle Revolution bestärkte Frauen in der Vorstellung, dass auch sie einfach sexuelle Wesen waren, die genauso viel Recht auf ihre sexuelle Freiheit besaßen wie die Männer.

Konservative Parteien

Man schluckte fröhlich die Pille, sexuelle Beziehungen wurden ganz entspannt eingegangen und endlich waren wir auch ‘Herr’ unseres eigenen Bauches. Nach einigen Jahrzehnten der Freiheit und des Glücks scheinen jedoch langsam aber sicher Prüderie und Schuldgefühle rund ums Thema Sex wieder Einzug zu halten. Wenn es um freien Sex geht, gelten Männer sofort als starke Players und die Frauen werden direkt mit Schmähungen überzogen, auf Banga-Listen gesetzt und mit online Slutshaming gequält.

Dieses Schlampen-Stigma taucht überall in unserer Gesellschaft auf. Von konservativen Parteien, die die Frauen am liebsten am heimischen Herd sehen, bis hin zu Antiabtreibungsbewegungen, die behauptet, dass Abtreibung ‘grenzüberschreitendes sexuelles Verhalten’ anmutigen würde. Auch das allgegenwärtige Gedankengut, dass man sich als Mädchen lieber nicht ‘wie ein Flittchen‘ anziehen sollte, weil man sonst vielleicht belästigt oder vergewaltigt würde, ist ein trauriges Beispiel für Slutshaming.

Mit zwei Maßen gemessen

Was macht einen also zur Schlampe? Dazu ist nur eins nötig: Man muss eine Frau sein. Sexuell aktive Männer scheinen gegen solche beleidigende Begriffe immun zu sein und werden stattdessen mit Bezeichnungen wie Casanova, Charmeur oder Player sogar noch dazu ermutigt.

Wird also mit zwei Maßen gemessen? Ja. Wir alle scheinen einen Unterschied zwischen dem Jungen zu machen, der seine sexuellen Eroberungen von den Dächern schreit und dem Mädchen, das sein letztes sexuelles Erlebnis ängstlich verschweigt, weil sie nicht den Stempel der Nutte aufgedrückt bekommen möchte.

Denn die Reaktionen auf Mädchen und Frauen, die den Erwartungen rund um Sexualität nicht entsprechen, sind nicht gerade zimperlich. Sie werden kritisiert, verspottet und ausgeschlossen, was in den letzten Jahren vor allem im Internet zu einem ernsten Problem geworden ist. Aber auch in anderen Umgebungen fühlen sich Frauen und Mädchen regelmäßig in die Ecke gedrängt, wenn sie nicht bestimmten gesellschaftlichen Standards entsprechen.

Denke nur daran, wie schnell über dich geredet wird, wenn du nur einmal in einem tief ausgeschnittenen Pullover herumläufst, egal, ob im Klassenzimmer, an der Uni oder im Büro.

Uraltes Spiel

Woher stammt diese Haltung? Sie entspringt dem ungleichen Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Jungen werden für Sex gelobt, Mädchen dagegen für ihn verurteilt. Wenn man sich als Frau nicht so benimmt, wie ‘es sich gehört’, wird man sofort als Schlampe abgestempelt.

Dazu muss man nicht einmal mit dutzenden Männern im Bett gewesen sein. Manchmal reicht es schon, wenn man sich einfach nur auflehnt und das uralte Spiel zwischen Mann und Frau nicht mitspielt. Wenn man als Frau wagt, eine klare und kompromisslose Meinung zu vertreten, wird man schnell zurückgepfiffen und das Gleiche geschieht, wenn man seine Sexualität selbst in die Hand nimmt.

Gender Script

Dies betont auch Leora Tanenbaum, eine Feministin, die 1999 zum ersten Mal den Begriff des Slutbashing verwendete, aus dem später das Slutshaming wurde. In ihrem Buch ‘Slut! Growing up female with a bad reputation’, beschreibt sie, dass das Wort ‘Schlampe’ eine Frau bezeichnet, die von traditionellen Vorstellungen über weibliche Sexualität abweicht.

Eine solche Frau muss nicht gleich promiskuitiv sein, sie hält sich aber nicht an das vorgegebene ‘Gender Script, was für einige Bullies Grund genug zu sein scheint, sie über Gerüchte, Spott und Anspielungen zu ihrem sexuellen Verhalten fertigzumachen.

Wie wir das Schlampen-Stigma verinnerlichen

Das ‘Gender Script‘ ist schon so viele Jahrhunderte alt, dass wir uns gar nicht mehr bewusst sind, dass wir nach seinen Maßstäben leben. Mädchen lernen bereits in jungen Jahren, dass sie sich vor Jungen in Acht nehmen müssen, dass sie sich nicht zu frivol oder sexy benehmen sollten und dass sie schlicht weg Damaged Goods seien, wenn sie sich sorglos mit jedem einlassen, bevor sie den Wahren gefunden haben.

Selbst wenn man ganz frei erzogen wurde, bekommt man über Filme, die Medien, Freunde und die ganze Gesellschaft die Botschaft eingeimpft, dass einen zügelloser Sex zur Schlampe macht. Diese Botschaft nistet sich unwillkürlich in unserem Unterbewusstsein ein und führt dazu, dass sich viele Frauen wegen ihrer Lustgefühle schuldig fühlen.

Auf diese Weise wird Sex zu etwas, das Frauen für einen anderen tun, aber nicht für sich selbst. Denn, tja, wenn du es für dich selbst tust, bist du eben gleich eine Schlampe. The walk of shame ist ein gutes Bespiel hierfür. Es ist eine ameriklanische Bezeichnung für Mädchen, die nach einem One-Night-Stand nach Hause gehen und sich dabei scheinbar schmutzig und beschämt fühlen müssten. Für Jungens gibt es hierzu allerdings kein Pendant.

Frauen, die einander stigmatisieren

Bevor wir jetzt aber denken, dass wir Frauen allesamt Opfer der böswilligen Männer sind: Auch wir Frauen können ganz schön austeilen. Slutshaming ist nicht nur ein Männerproblem, Frauen machen sich dessen ebenso schuldig.

Wenn Mädchen und Frauen ihre Geschlechtsgenossinnen brandmarken, geschieht dies meistens aus Unsicherheit, Eifersucht oder um ein eigenes Stigma zu vermeiden. Es handelt sich um ein Phänomen, das wir aus den typischen High-School Filmen kennen, und eine amerikanische Untersuchung der Soziologinnen Elizabeth T. Armstrong und Laura T. Hamilton aus dem Jahr 2004 zeigte, dass diese Filme leider recht wahrheitsgetreu sind.

Sozialgefälle

Eine große Überraschung einer Untersuchung an amerikanischen Hochschulen war, dass das Schlampen-Stigma unter Studenten nicht so sehr etwas mit dem sexuellen Verhalten zu tun hatte, sondern viel mehr mit den Klassenunterschieden. Mädchen, die andere Mädchen als Schlampe bezeichnen, möchte auf diesem Wege ihren Platz in der Sozialstruktur sicherstellen. Oft sind es die beliebten Mädchen, die ihre Mitschülerinnen mit weniger privilegiertem sozialen oder ökonomischen Hintergrund bashen und slutshamen, um auf diese Weise ihre eigene Position weiter zu stärken.

Auch die Cornell University untersuchte die Beziehung zwischen Slutshaming und Frauen untereinander. Dazu kreierten die Forscher eine fiktive Person namens Joan und legten ihren Fall zwei unterschiedlichen Frauengruppen vor. Der einen Gruppe erzählten sie, dass Joan zwei sexuelle Partner gehabt hätte und der anderen Gruppe, dass sie mit 20 Männern das Bett geteilt hätte. Das Ergebnis: Die Frauen beurteilten die ‘promiskuitive’ Joan als ‘weniger kompetent, weniger emotional stabil und weniger warmherzig’ als die Joan, die nur mit zwei Männern im Bett gewesen war.

Die Jahrhunderte alte Tatsache, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, ist eben auch bei uns Frauen tief verwurzelt.

Online Slutshaming

Dass die Social Media eine Brutstätte für schamloses Slutshaming sind, dürfte hinreichend bekannt sein. Das Internet ist vermutlich der prominenteste Ort, an dem das Stigmatisieren praktiziert wird. Wir erschrecken regelmäßig, wenn wieder einmal bekannt wird, dass ein junges Mädchen Selbstmord begangen hat, weil sie mit Nacktfotos oder Screenshots persönlicher Gespräche im World Wide Web gelandet ist.

Auch hier ist die öffentliche Entrüstung oft doppeldeutig. Einerseits werden die Jungens dafür verurteilt, dass sie das Opfer so sehr gepeinigt haben, andererseits klingt aber auch immer wieder durch, dass das betreffende Mädchen auch ein bisschen Mitschuld trägt. Dann hätte sie eben keine Nacktfotos von sich machen oder teilen sollen.

Willenlose Hormonbomben

Anscheinend denken wir immer noch unbewusst, Jungen und Männer wären irgendwelche willenlosen Hormonbomben, die nichts dafür können, dass sie Mädchen belästigen, vergewaltigen oder online shamen, wenn sie mit etwas nackter Haut konfrontiert werden. Dass sie nichts gegen ihren sexuellen Eroberungsdrang tun könnten, denn der steckt eben einfach in ihrer aufgewühlten Libido fest verankert.

Solche Vorstellungen sind aber nicht nur eine Beleidigung für Männer, sondern begrenzen auch uns Frauen in unserer Sexualität. Denn wir lernen deshalb, dass wir uns keusch und bedeckt halten müssen. Und dass wir die Schuld für eine Belästigung oder Vergewaltigung zuerst einmal bei uns selbst suchen müssen.

Das bringt das konventionelle Denken über das Mann-Frau-Verhältnis zu Wege.

Banga-Listen

Social Media sind ebenfalls ein Hotspot für Banga-Listen, auf denen Jungen den Mädchen ein Ranking geben, welche die größten Schlampen sind. 2016 kam die Studentenvereinigung Vindicat negativ in die Schlagzeilen, weil einige männliche Studenten eine entsprechende Liste online gestellt hatten, komplett mit Fotos, Namen und Telefonnummern von 22 Studentinnen.

Und als ob dies nicht schon abstoßend genug gewesen wäre, legte der Rektor noch nach, indem er das Ganze als ‘schlechten Studentenwitz’ bezeichnete. Ja sicher, die Betreffenden wurden zurecht gewiesen, wenn man aber bedenkt, dass seitdem mehrere ehemalige weibliche Mitglieder bekanntgemacht haben, innerhalb der Vereinigung regelmäßig als Schlampe oder Nutte bezeichnet worden zu sein, kann man sich dem Eindruck nur schwerlich entziehen, dass bei dieser Vereinigung irgendetwas fundamental falsch läuft.

Aufnahmeritual

Milou Deelen, eine ehemalige Studentin, die 2015 ein Video ins Internet stellte, in dem sie ihre Sexualität zurückforderte, erzählte sogar von studentischen Aufnahmeritualen, bei denen die männlichen Mitglieder angeschrien wurden, dass ‘alle Frauen Nutten wären’ und dass sie ‘so viele von ihnen packen sollten, wie sie konnten’. Und die Frauen? Die hatten sich zu ‘benehmen’.

In ihrem Facebook-Post erzählt sie zudem, dass dutzende männliche Vereinigungsmitglieder jedes Jahr ein Lied über ‘das niedrigste Mädchen des Jahres‘ singen und dass sie in diesem Jahr die Auserkorene war. ‘Ich schämte mich zutiefst und fühlte mich erniedrigt. Als ich sie darauf ansprach, bekam ich zu hören, dass alles doch nur ein Spaß sei. Ich konnte aber nicht lachen.’

Ironischer – oder eher typischer – Weise wurde Deelen nach ihrem Video zum Ziel sexistischer Ausbrüche in den Social Media.

Frauen ‘Exposen’

Ein weiteres dubioses Phänomen ist das ‘Exposen’ von Mädchen und Frauen in speziellen App-Gruppen. Schon das Wort allein impliziert, dass die betreffenden Mädchen etwas falsch gemacht hätten; etwas Schändliches, dass diese Männer – als echte Moralapostel – natürlich ans Licht bringen müssen.

Was die Mädchen gemacht haben? Sie haben irgendwann einmal ein Nacktfoto an ihren (inzwischen) Ex-Freund geschickt, sie haben ‘zu nackt’ eine Party besucht oder sie haben einem der betreffenden Herren eine eindeutige Abfuhr erteilt.

Wenn sich ein solcher Junge anschließend auf den Schlips getreten fühlt, beginnt das ganze Elend. Im Internet werden die wildesten Geschichten über das Mädchen verbreitet und über allerlei Kanäle wird jedes Detail über sie geteilt, sodass sich der ganze Club schön an ihrer ‘Schamlosigkeit’ ergötzen kann.

Welche emotionalen Folgen dies für das Mädchen nach sich zieht, daran denkt niemand. Schließlich ist sie doch nur eine Schlampe.

Weg mit den Schlampen-Stigma

Das Online-Bashing und die Banga-Listen sind nur ein Symptom eines viel tiefgreifenderen Problems. Die herablassende Art und Weise, mit der über Frauen und ihre Sexualität gesprochen wird, findet nicht nur in Studentenkreisen statt, es geschieht überall. In Fußballkantinen, beim Firmenfest, wenn etwas zu viel getrunken wurde und auch im Fernsehen.

Und was passiert, wenn eine Frau sagt, dass sie diese zweideutigen Anspielungen und Witze überhaupt nicht lustig findet? Dann ist sie humorlos, obwohl sie mehr als Recht hat, über etwas so erniedrigendes wie Slutshaming nicht zu lachen. Manche Frauen wollen sich den Begriff ‘Schlampe’ als eine Art Spitzname zueignen, wie die Frauen, die am Slut Walk in Kanada teilnahmen, nachdem ein Polizist gesagt hatte, dass spärlich bekleidete Frauen Vergewaltigungen selbst provozierten. An sich eine noble Idee, wenn dieser Begriff nur nicht schon so negativ und herablassend beladen wäre, um ihm noch irgendetwas Positives abgewinnen zu können.

Identität auf dem Scheiterhaufen

Denn was macht eigentlich das Wort ‘Schlampe’? Es schikaniert jede Frau, die es wagt, ihre Gender-Rolle zu verlassen und ihre Sexualität zurückzufordern. Es ermahnt uns, dass wir uns an die eng begrenzten Standards für weibliche Sexualität zuhalten haben, die uns bereits seit Jahrhunderten auferlegt werden.

Wir sind aber keine minderwertigen Wesen, die man sexuell auf ihren Platz verweisen muss. In unserer heutigen Gesellschaft wird der Wert und Charakter einer Frau so stark an ihre Sexualität gekoppelt, dass ein Schimpfwort wir ‘Schlampe’ ihre gesamte Identität auf den Scheiterhaufen bringt und auf allein dies reduziert.

Es wäre besser, wenn keine Frau dieses Wort jemals wieder hören müsste und wenn wir die konventionellen Vorstellungen zum Mann-Frau-Verhältnis endlich hinter uns lassen könnten. Um diese eingerosteten Konzepte abzuschütteln, wird es aber sicher noch sehr vieler MeToo-ähnlicher Aktivitäten bedürfen.

Lies auch: Catcalls: Unverschämt auf der Straße, sexy im Schlafzimmer?

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