Die fremdgehende Frau

Alle dachten, dass es Kevin wäre, der fremdgegangen war. Sie hatten gehört, dass etwas passiert war, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, zu fragen, was wirklich geschehen war. Aber es war gar nicht Kevin gewesen, der fremdgegangen war, sondern seine Frau Naomi. Darum bekam immer Kevin alles ab, die ganze Abscheu der Leute. Er war aber völlig unschuldig. Er war es nicht derjenige, der schon vier Mal mit jemand anders ins Bett gestiegen war. Die ersten drei Mal waren schon vor einigen Jahren passiert, der vierte Mann war aber erst vor wenigen Wochen aufgeflogen.

Naomi hatte sich in einen Kollegen verliebt und stellte fest, dass es niemand bemerkte, wenn sie den Kontakt zu ihm suchte. Der Kontakt wurde immer intimer, und obwohl das Ganze nur langsam Gestalt annahm, war es nicht so, dass es Naomi irgendwie überkam. Sie selbst entschied sich jedes Mal dafür, die Initiative zu ergreifen, um mit ihm zu reden, etwas zu trinken, zu kuscheln… bis sie auf einmal wild küssend hinter dem Schreibtisch standen. All die Monate hatte sie damit weitergemacht, weil sie es genoss und niemand etwas bemerkte. Niemand durchschaute sie und darum hielt sie niemand zurück.

Naomi war einfach eine Frau wie viele andere auch. Sie hatte einen lieben Mann, eine kleine vierjährige Tochter und war mit ihrem Leben zufrieden. Es gab keinen Grund, sich von ihrem Mann zu trennen oder ihre Beziehung aufs Spiel zu setzen. Darum ging es ihr auch überhaupt nicht. Ihr bot sich einfach eine Gelegenheit, sie spürte das Interesse eines anderen Mannes und entschied sich dazu, darauf einzugehen. Nicht, weil sie unglücklich gewesen wäre, das war auch bei den letzten Malen nicht der Fall gewesen, sondern einfach nur, weil es möglich war.

Bis Kevin dahinter kam. Dann merkte sie sofort, dass es nicht mehr ehrlich gewesen wäre, einfach damit weiterzumachen. Sie hat nicht das Gespräch mit Kevin gesucht, darum weiß sie auch nicht, ob es noch weitergehen kann, aber die Vorstellung, dass Kevin es wusste und deswegen verletzt war, war für sie Grund genug, um einen Schlussstrich zu ziehen. Schließlich liebte sie ihn und würde alles für ihn tun.

Naomi bereut nicht, was sie getan hat. Das Einzige, was jetzt tatsächlich ein Problem ist, ist der Umstand, dass alle denken, Kevin wäre fremdgegangen. Das bedrückt sie schon, denn das hat er nicht verdient. Sie selbst findet es nicht so schlimm, dafür verurteilt zu werden, dass nun aber Kevin der Leidtragende ist, nur weil er der Mann ist, verletzt sie. Sie liebt ihn und möchte nicht, dass ihm jemand oder etwas schadet.

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