Kolumne: Jemanden verletzen, obwohl man genau das vermeiden will

Kolumne jemanden verletzen, obwohl man genau das vermeiden will

Mandy wusste schon seit einiger Zeit, dass ihre Beziehung nicht mehr die Beste war. Sie stellte fest, dass sie Tom nicht mehr attraktiv fand und auch über seine Witze konnte sie immer weniger lachen. Tom war aber so gut zu ihr gewesen, so liebevoll, dass sie ihn nicht verletzen wollte. Darum wollte sie die Beziehung auch nicht beenden. Sie bleibt also bei ihm, obwohl sie keine echte Nähe mehr fühlt. Die Intimität und Sexualität wird immer weniger. Auch die Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkt.

Tom weiß nicht, was mit Mandy los ist. Er hat den Eindruck, dass sie ein Problem mit sich herumträgt, aber jedes Mal, wenn er sie danach fragt, wiegelt sie nur ab. Er fühlt die Distanz, die zwischen ihnen entsteht, es gelingt ihm aber nicht, sie zu erreichen und das verunsichert ihn. In letzter Zeit beschäftigt ihn zunehmend die Frage, ob er ihr noch das geben kann, was sie braucht. Er traut sich kaum noch, sie zu berühren und stellt zudem fest, dass seine sexuellen Bedürfnisse abnehmen, wenn sie nicht mehr auf seine Avancen reagiert; selbst wenn sie ihm versichert, dass alles in Ordnung ist.

Und obwohl Mandy ihr Bestes tut, um Tom nicht zu verletzen, geschieht genau das. Er spürt, dass etwas nicht stimmt und das macht ihn unsicher. Er fühlt sich zurückgewiesen, was den intimen und sexuellen Kontakt betrifft. Gerade weil Mandy sich so sehr bemüht, ihn nicht zu verletzen, führt genau dies dazu, dass er verletzt wird. Er fühlt sich verunsichert und abgewiesen, trotz Mandys bester Intentionen.

Was hier zwischen Mandy und Tom stattfindet, geschieht leider viel zu oft: Man möchte den anderen vor Kummer bewahren, vor Zurückweisung und müht sich dabei so sehr ab, dass man dem anderen trotzdem oder gerade deswegen Leid zufügt.

Sagt man dem anderen einfach die Wahrheit, wird ihn dies wahrscheinlich am wenigsten verletzen. Wenn man ihm ganz offen sagt, dass man an der Beziehung und an den eigenen Gefühlen zweifelt, weiß der andere wenigstens, was los ist und warum man sich so anders benimmt. Kurzfristig ist dies vielleicht hart, langfristig ist es aber der bessere und weniger schmerzhafte Weg, und zudem der liebevollere. Wenn man den anderen, aus Liebe zu ihm, nicht verletzen möchte, sollte man ehrlich sein und ihm oder ihr sagen, was los ist. Das ist dann ein wahrer Akt der Liebe, auch wenn es natürlich sehr traurig sein kann.

Lies auch: Konsensuelle Nicht-Monogamie, kann sie funktionieren?

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