Konsensuelle Nicht-Monogamie, kann sie funktionieren?

Konsensuelle Nicht-Monogamie, kann sie funktionieren_

In unserer westlichen Gesellschaft neigen wir dazu, Monogamie als die Norm zu betrachten. Alles was davon abweicht, also die Nicht-Monogamie, ist eigentlich nicht wirklich ok. Wenn man das Bedürfnis verspürt, mit jemand anderem intim zu sein, muss irgendetwas mit deiner Beziehung nicht stimmen. Das ist schade, denn wenn einem bewusst wäre, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als nur die Monogamie, würden viel mehr Menschen diese Freiheit nutzen, um zu untersuchen, was genau sie selbst eigentlich bevorzugen.

Eine komplett monogame Beziehung hat zweifellos ihre Vorteile: Die Beziehung fühlt sich sehr sicher an, sie ist nicht so kompliziert und wenn Kinder dazukommen, stellt sich nicht die Frage, wer genau die Eltern sind. Ob man aber eine monogame oder eine konsensuelle nicht-monogame Beziehung führt (also eine Beziehung, bei der gegenseitige Zustimmung zu Kontakten außerhalb der Beziehung herrscht), sagt absolut nichts über die Qualität der Beziehung aus.

Im Gegenteil sogar: Paare, denen es gelingt, erfolgreich eine nicht-monogame Beziehung zu führen, haben in der Basis eine gute Beziehung; sie kommunizieren deutlich, wissen, was sie voneinander erwarten können, berücksichtigen die persönlichen Bedürfnisse, besprechen ihre Gefühle, trauen sich, sich von ihrer verwundbaren Seite zu zeigen und vergeben leichter.

Monogamie gegenüber Nicht-Monogamie

Wenn man über eine monogame Beziehung spricht, meint man eine Beziehung, bei der zwischen den Partnern Exklusivität herrscht. Man erwartet, dass sich beide Partner hinsichtlich Intimität, Zuneigung und Sexualität ausschließlich auf den anderen richten. Die Monogamie beherrscht unser Bild einer Beziehung, wenn wir aufwachsen und Beziehungen eingehen. Eine monogame Beziehung bietet eine gewisse Sicherheit: du und ich, wir gehören zusammen. Meine Kinder sind von dir. Wir wissen, was wir voneinander erwarten können. Du und ich sind aufeinander angewiesen.

Die Monogamie ist aber nicht überall auf der Welt die Norm. Wenn man in die Vergangenheit schaut, wird man allerlei Formen von nicht-monogamen Gemeinschaften entdecken. Die Non-Monogamie beschreibt viele Beziehungsarten, bei denen sich die Exklusivität nicht auf den Partner beschränkt, zumindest nicht auf allen Ebenen. Es gibt eine große Diversität an Beziehungen, bei denen von Nicht-Monogamie gesprochen wird. Manche nennen ihre Beziehungsform eine Offene Beziehung, andere sprechen von Polyamorie. Einige beschreiben sich selbst als Swinger, während wiederum andere sich lieber keine Bezeichnung geben und einfach nur Entscheidungen treffen können wollen, die sich für sie – im betreffenden Moment – gut anfühlen. Sie dürfen z.B. eine intime Beziehung mit jemand anderem eingehen, wenn sich dies ergibt, schenken dem Partner aber keinen Freibrief, um mit völlig Fremden Sex zu haben. Einige Paare führen immer eine non-monogame Beziehung, während andere unterschiedliche Phasen haben, bei denen sie abwechselnd mehr auf den Partner gerichtet sind und dann wieder mehr auf andere. Die Diversität an konsensuellen nicht-monogamen Beziehungen ist also enorm.

Emotionale Monogamie

Die Interpretation des Begriffs Monogamie ist für jeden anders. Dessen sollte man sich sehr bewusst sein und berücksichtigen; man selbst und auch der Partner. Eine der möglichen Interpretationen von Monogamie ist z.B. die emotionale Monogamie. Damit ist gemeint, dass man, was die Gefühle betrifft und das Eingehen einer emotionalen Verbindung, monogam ist. Man geht also nur mit dem Partner eine emotionale Bindung ein. Die sexuellen Bedürfnisse und deren Erfüllung werden jedoch separat betrachtet. So kann es in der Beziehung also durchaus Freiraum für weitere sexuelle Kontakte geben aber absolut keinen Raum für eine weitere emotionale Beziehung.

Initiiere eine andere Beziehungsform

Hast du schon einmal darüber fantasiert, wie es wohl wäre, auch einmal mit einem anderen Sex zu haben oder so richtig schön mit jemandem zu flirten, ohne den Partner damit eifersüchtig zu machen? Oder dass du neben deinem Liebsten noch einen anderen Geliebten haben könntest? Vielen Menschen erscheint eine solche Vorstellung lächerlich, weil wir einfach mit dem Bild einer monogamen Beziehung erzogen wurden. Andere werden bei dem Gedanken an ein solches Szenario eher neugierig. Und ist man seinem Partner nicht auch treu, wenn man diese Möglichkeiten mit ihm oder ihr gemeinsam ergründet?

Da wir momentan viel mehr Zeit mit unserem Partner verbringen, sich unsere persönlichen Bedürfnisse auf einmal viel stärker zeigen und jetzt kein Druck vorhanden ist, um auch entsprechend zu handeln (da wir andere Menschen nicht aufsuchen dürfen), sollte man über das Thema sprechen; einfach auf neugierige und entdeckende Art und Weise.

Nicht-Monogamie – Was man berücksichtigen sollte

Seine monogame Beziehung auf einmal zu öffnen, ist leider nicht so simpel, wie es vielleicht erscheint. Es geht nicht einfach um fremdgehen mit Zustimmung. Das Ganze ist eher eine recht komplexe Angelegenheit, die Unsicherheit erzeugen kann, der man gewachsen sein muss. Man kann nie sicher wissen, wie ein solches Umschwenken verlaufen wird. Das wird von vielen Paaren unterschätzt. Natürlich handelt es sich dabei auch nicht gerade um höhere Mathematik, wenn man jedoch zu naiv vorgeht oder aus einer nicht gut funktionierenden Beziehungssituation heraus, kann einem ein solcher Schritt die Beziehung kosten.

Die Basis muss stimmen

Das Folgende solltest du wissen: Die Basis deiner eigenen Beziehung muss gut sein. Natürlich darfst du bestimmte Dinge in deiner Beziehung vermissen, die du über den Kontakt zu einer weiteren Person ‘ergänzen’ kannst, aber die Basis der Beziehung muss stimmen. Stabil. Liebevoll. Aus einer solchen Position heraus, kann das Ausloten von Freiheiten eurer Beziehung einen großen Mehrwert bescheren. Vielleicht fühlt sich eure stabile Basis dadurch sogar noch besser an: ihr könnt dies miteinander teilen. Wenn du diesen Schritt aber erwägst, weil du eure Beziehung verbessern möchtest, weil diese sich vielleicht nicht gut anfühlt, solltet ihr zuerst an eurer Basis arbeiten. Es kommt nur sehr selten vor, dass sich eine schwache Basis auf einmal verbessert, wenn man Kontakt zu anderen aufnimmt.

Trial and Error

Das Ganze ist ein Prozess von Trial and Error, wobei man immer wieder ärgerliche, unangenehme oder peinliche Situationen erleben und aus ihnen lernen wird. Dann ist es auch sehr wichtig, diese Situationen zu besprechen. Ihr solltet vorab ganz klar besprechen, was ihr euch erwartet, bevor ihr überhaupt beginnt. Für die meisten Paare ist dies ein jahrelanger wechselhafter Prozess, bei dem langsam ein Gleichgewicht gefunden wird. Es ist gut möglich, dass man im einen Moment ein bestimmtes Bedürfnis des Partners ok findet, sich aber kurze Zeit später doch nicht mehr gut dabei fühlt. Hier ist Kommunikation der Schlüssel! Sollte diese nicht stattfinden, werden sich entsprechende Ereignisse sehr nachteilig auf eure Beziehung auswirken.

Welche Bedürfnisse hast du?

Du solltest zudem ergründen, welche Bedürfnisse du hast: Möchtest du wirklich eine komplette zusätzliche Beziehung? Möchtest du sexuelle Erlebnisse mit anderen? Hast du sexuelle Vorlieben, die du mit deinem Partner nicht oder nur ungenügend ausleben kannst? Hast du das Bedürfnis nach Intimität oder emotionalen Gesprächen? Oder möchtest du einfach herrlich flirten und deine sexuelle Anziehungskraft mit jemandem ausleben, ohne Folgen für deine Beziehung befürchten zu müssen? Es gibt noch viele weitere Bedürfnisse, die einen motivieren können. Einige dieser Bedürfnisse haben mit dem gemeinsamen Entdecken neuer Dinge zu tun, andere dagegen sind deine ganz persönlichen Bedürfnisse. Die Bedürfnisse, die dich und deinen Partner bewegen, müssen nicht unbedingt die gleichen sein; sie können durchaus unterschiedlich sein. Wenn du mit den Beweggründen deines Partners Schwierigkeiten hast, solltest du zumindest neugierig sein und untersuchen, warum er oder sie dies möchte, aber auch, warum du dich damit schwer tust. Warum sollten deine Bedürfnisse, deine Beweggründe besser sein, als die eines anderen?

Nicht-Monogamie – Bleib deinen Gefühlen treu

Bleibe dir treu! Führe keine Kapriolen aus, nur weil dein Partner dies will. Natürlich darfst du neugierig sein und es deshalb ausprobieren, dabei solltest du aber nicht deine eigenen fest Grenzen überschreiten. Folge immer deinem Gefühl. Deine Intuition liegt meistens richtig, das solltest du nutzen. Deine Intuition, dein Bauchgefühl, ist übrigens nicht das Gleiche wie Eifersucht, wobei man zwischen gesunder Eifersucht (wenn etwas nicht so verläuft, wie du es gerne hättest) und extremeren Formen unterscheiden muss. Diese letztere Form der Eifersucht ist so gut wie immer unbegründet und sehr schädlich für die Beziehung. Darum solltest du nicht mit einer nicht-monogamen Beziehung anfangen, es sei denn, du suchst eine Herausforderung, bei der du lernst, mehr auszuhalten und weniger eifersüchtig zu sein. Die andere Form der Eifersüchtig ist sehr gesund und ist deshalb vollkommen in Ordnung; auch wenn du dich dazu entscheidest, deinem Partner mehr Freiheiten einzuräumen.

Genießen dürfen und liebhaben

In einer perfekten Welt sollte jeder seine Beziehung so gestalten können dürfen, wie er oder sie gerne möchte. Für einige bedeutet dies eine monogame Beziehung, bei der sie ihre ganze Liebe, Sexualität und Zuneigung mit nur einem Partner teilen. Andere werden sich für eine offenere Beziehungsform entscheiden. Es wäre schön, wenn wir jedem diese Freiheit zugestehen würden, auch wenn wir sie nicht aus unserer persönlichen Sichtweise verstehen können. Die Vorstellung, dass jeder auf seine eigene Weise genießen und liebhaben darf, klingt so viel liebevoller als das, was wir heute meist noch als Realität erleben.

Lies auch: Kolumne: Monogamie als Heiliger Gral

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